Geschwindigkeitsmessungen: neues System "Streckenradar" scheitert vor Verwaltungsgericht

Derzeit wird ein neues System der Geschwindigkeitsüberwachung erprobt. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes "Streckenradar" (auch "Section Control" genannt). Die so bezeichnete Radaranlage erfasst die Geschwindigkeit nicht punktuell nicht an einer Stelle, wie das bisher ausschließlich gemacht wird. Stattdessen ermittelt sie das Durchschnittstempo auf einem längeren Abschnitt, wo Autofahrer einmal mehr sanktioniert werden sollen, wenn sie sich nicht an die vorgegebenen Geschwindigkeiten halten. 

Das - ohnehin umstrittene - System wurde seit nunmehr zwei Monaten in Niedersachsen erprobt. Seit dem Start des Probebetriebs auf der B6 in Laatzen bei Hannover wurden 141 Verfahren eingeleitet.

Dagegen gab es unter anderem Datenschutzbedenken, auch von der Datenschutzbeauftragten in Niedersachsen selbst.

 

Jetzt wurde das zuständige Verwaltungsgericht Hannover angerufen und hat sich mit der Angelegenheit beschäftigt.

Der Kläger hatte sein Recht auf informelle Selbstbestimmung verletzt gesehen, da die Kennzeichen sämtlicher vorbeifahrender Autos erfasst werden. Diese - juristisch "anlasslose Erfassung" genannte - Datensammlung war in der Vergangenheit bereits wiederholt unter anderen Aspekten vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden. 

Auf diese Rechtsprechung des BVerfG stützte sich auch der Kläger in Niedersachsen.

Nunmehr hat das Verwaltungsgericht Hannover (Urt. v. 12.03.2019, Az. 7 A 849/19) entschieden, dass das Erfassen aller Kennzeichen durch die Polizei zu Kontrollzwecken teils verfassungswidrig ist. Das Innenministerium in Hannover kündigte darauf sofort an, die Anlage an der Bundesstraße 6 bei Laatzen unverzüglich außer Betrieb zu nehmen. Die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) hat das VG zugelassen.

Die weitere Entwicklung muss abgewartet werden. Wir werden über diese Thematik weiter berichten.

 

Hinweis:

 

Wer kein Rechtsmittel gegen seinen Bußgeldbescheid eingelegt und die Strafe bereits überwiesen hat, hat trotz des Urteils kein Recht auf eine Erstattung des Bußgeldes.

 

 

Tipp:

Daraus folgt einmal mehr, dass es stets sinnvoll ist, Bußgeldbescheide überprüfen zu lassen. Wer dies im Fall der Section Control nicht getan hat, und stattdessen sein Bußgeld brav gezahlt hat, muss nun feststellen, dass das offensichtlich falsch war. In unserer täglichen Praxis erleben wir es immer wieder, dass Mandanten uns um Hilfe ersuchen, nachdem sie das Bußgeld bereits entrichtet haben (!), was natürlich sinnlos ist.
Stattdessen empfehlen wir, gerade angesichts der immer höheren Sanktionen, von Bußgeldern, Punkten in Flensburg und Fahrverboten, Bußgeldbescheide grundsätzlich überprüfen zu lassen. Dabei müssen Sie unbedingt die Fristen beachten, die in diesen Fällen gelten. So hat der Betroffene nur zwei Wochen ab dem Eingang des Bescheides, hier gegen Einspruch einzulegen.

Hierzu empfiehlt sich der Abschluss einer Rechtschutzversicherung, die solche Risiken mit abdeckt.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

 

 

______________________________________________________________________________________________________________

 

Urteil des LG Berlin im Fall des tödlichen Autorennens auf dem Kudamm

Mit einer aufsehenerregenden Entscheidung hat das Landgericht Berlin von sich Reden gemacht. In der von den Medien als "sensationell" beschriebenen Entscheidung, hat das Gericht zwei Autofahrer wegen Mordes (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) verurteilt, nachdem im Rahmen eines sogenannten illegalen Straßenrennens ein Unbeteiligter zu Tode gekommen war. Zwar hatten deutsche Instanzgerichte derartige Fälle bereits wiederholt zu bewerten, doch stand bislang regelmäßig höchstens ein fahrlässig begangenes Tötungsdelikt (§ 222 StGB) zur Debatte. Eben von dieser bisherigen Rechtsprechung hat sich das Berlin verabschiedet. 

 

Hintergrund und Basis dieser Entscheidung war die Frage, ob die Angeklagten vorsätzlich oder doch fahrlässig gehandelt haben. Bislang sind die mit dieser Frage befassten Gerichte immer davon ausgegangen, dass die Fahrer der dann verunfallten Fahrzeuge fahrlässig handelten. Die Berliner Kammer dagegen ist der Ansicht, dass die ganz erheblichen Geschwinidigkeitsüberschreitungen im Fall Ku´damm (bis zu 170 km/h innerorts bei erlaubten 50 km/h) zumindest den Schluss auf die Begehung mit Eventualvorsatz zulassen. Dieser "dolus eventualis" bedeutet nichts anderes, als dass der Taterfolg nicht beabsichtigt ist, aber eben billigend in Kauf genommen wird ("und wenn schon..."). Das aber ist ausreichend, um auch eine vorsätzliche Begehung und damit einen bedingten Tötungsvorsatz bejahen zu können, was wiederum die Möglichkeit des Vorliegens eines Mordes nach §211 StGB eröffnet.  Weil das Gericht aber dann auch noch die sogenannten Mordmerkmale geprüft und als gegeben angenommen hat, gelangte es auch zur Verurteiling der Tat wegen Mordes.

 

Hierzu ist bereits Kritik geäußerte worden. Dabei wird argumentiert, dass "die Frage, wie besonders schwerwiegende Regelverstöße im Straßenverkehr zu beurteilen sind, also wann bei den dadurch bewusst hervorgerufenen Gefahren Tötungsvorsatz bejaht werden kann, schwierige Abgrenzungsfragen zwischen (Lebens-)gefährdungs- und Tötungsvorsatz aufwirft, die bislang ganz regelmäßig zur Ablehnung des Tötungsvorsatzes geführt haben. Da sich die Fahrer in dieselbe Gefahr bringen, aber keinen Suizid begehen wollen, kann geschlossen werden, dass sie zumindest hofften, es werde noch mal gut gehen." (Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.02.2017 auf beck.de am 01.03.2017).

 

Nachdem allerdings für beide Angeklagten Rechtsmittel eingelegt wurde, wird abzuwarten sein, wie der zuständige 4. Strafsenat des BGH hierüber entscheiden wird.

 

Unsere Kanzlei hat mit eben diesem Senat jedoch eher negative Erfahrung gemacht. Der 4. Strafsenat, der unter anderem eine Spezialzuständigkeit für Revisionen in Verkehrsstrafsachen hat, hatte sich mit einem von unserer Kanzlei verteidigten Mandanten zu befassen, der als Autobahnschütze bekannt geworden ist.

Der Fall, der in den Medien sehr große Aufmerksamkeit erhalten hatte, wurde in erster Instanz vom Schwurgericht des LG Würzburg u.a. als vierfacher versuchter Mord bewertet, nachdem der Angeklagte hundertfach auf der Autobahn mit einer scharfen Waffe meist in den Gegenverkehr geschossen hatte. Auch in diesem Fall ging es, wie jetzt in dem Berliner Fall auch, um die Entscheidung der Frage, ob ein Eventualvorsatz, gerichtet auf die Tötung eines Menschen (im Straßenverkehr) vorlag. Staatsanwaltschaft, Verteidigung aber auch das Schwurgericht des LG Würzburg haben dann gespannt einer Entscheidung des Senats entgegen gesehen. Leider hat der Senat dann nahezu ausschließlich zu rein straßenverkehrsspezifischen Fragen Stellung bezogen, sich aber zur Frage des Eventualvorsatzes und damit der Annahme eines Mordes, bzw Mordversuches, nicht geäußert.

 

Daher sieht gerade unsere Kanzlei der Revisionsentscheidung des BGH im Berliner Fall mit Spannung entgegen.